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Gewicht und Essverhalten - Aus dem Leben einer Ernährungsexpertin

Der Titel des Textes ist natürlich etwas humorvoll gemeint. Ich kann im Übrigen durchaus verstehen, wenn dich meine persönlichen Erfahrungen nicht interessieren. Falls aber doch, dann lies gerne weiter.

Ich möchte aber gleich zu Beginn klar stellen, dass meine Aussagen im Text sich ganz klar auf meine Erfahrungen beziehen. Ich weiß sehr wohl, dass diese stark von denen anderer abweichen können. Deshalb entschuldige ich mich auch im Voraus dafür, dass sich vielleicht die/der eine oder andere nicht verstanden oder abgeholt fühlt, mit meinem persönlichen Bericht.

Anlässlich des Buches "Gesundheit kennt kein Gewicht" von Petra Schleiffer und Dr. Antonie Post, habe ich noch einmal meine eigene Vergangenheit reflektiert. Das ist ja manchmal gar nicht so schlecht. Ab und zu über sich selbst nachzudenken. 😉

 

In diesem Text geht es speziell um mein Essverhalten, meine Gewichtsentwicklung und meine Erfahrungen. Das Spannende ist dabei, dass ich schon jahrelang ein recht intuitives Essverhalten habe, ich gut auf meinen Körper eingehe, mein Sättigungs- und Hungergefühl gut spüre, weiß welche Lebensmittel mir gesundheitlich guttun und ich auch Essen nicht als Ersatzbefriedigung nutze.

 

Das war ein längerer Weg. Doch seit langer Zeit bin ich bezüglich meines Essverhaltens "gut aufgestellt". Mein Hungergefühl passt sich z.B. auch perfekt meinem Energiebedarf an . Das schreibe ich jetzt natürlich nicht, um mich selbst zu beweihräuchern, sondern weil ich dadurch sehr gut die Beobachtung das "Verhalten kein Gewicht" ist, bestätigen kann. Auch wenn natürlich eine einzelne Person keine wissenschaftliche Repräsentanz hat.

Kurz: Im Laufe der Jahre veränderte sich mein Körper immer wieder in seiner Form und Fettverteilung, ohne dass ich an meinem Ess- oder Bewegungsverhalten etwas geändert habe. Ich kenne Phasen, in denen ich sehr dünn war und Phasen in denen ich eher pummelig war. Ich habe mich allerdings immer rund um ein "Normalgewicht" bewegt und niemals in extremen Bereichen. Aus diesem Grund, kann ich dazu keine Aussage treffen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass mein Körper sich einfach immer wieder verändert. Auch jetzt mit meinem fortschreitenden Alter. So wie nichts gleich bleibt, weder das Leben noch die Lebensumstände.

Und um eins vor meinen weiteren Ausführungen klar zustellen: Ich propagiere weder eine hohes, noch ein niedriges Gewicht, noch einen schlechten Lebensstil oder irgendetwas anderes. Ich propagiere überhaupt kein Gewicht und ich stelle aber auch keinen Lebensstil als vorbildliche Glanzleistung dar, die es zu erreichen gilt.

Ich bin Ökotrophologin und stehe dafür, jedem Menschen in seinem Rahmen zu ermöglichen gesundheitliche Verhaltensweisen zu verwirklichen, die seine Lebensqualität verbessern. 

Das ist übrigens auch das einzige, was für mich Sinn macht. Genau hier  besteht nämlich Handlungsmöglichkeit für Menschen. Es können einzelne Verhaltensweisen verbessert werden und jede Verbesserung in Richtung Lebensqualität bzw. gesundheitliche Selbstfürsorge, ist ein Erfolg und eine gesundheitliche Verbesserung.

Einem Patienten oder Klienten zu sagen: "Wir verbessern jetzt mal Ihren Körper und Ihr Gewicht zu Schablone oder Tabelle XY und daran messen wir dann auch Ihren und meinen Erfolg als Beraterin", ist für mich Schwachsinn!

Das ist ungefär so, als würde ich sagen: "Hier ist meine Glaskugel. Da gucken wir jetzt mal rein, wie Ihre Zukunft aussieht und wenn das nicht eintritt, was ich Ihnen prophezeit habe, sind Sie schuld. Dann haben sie sich einfach nicht genug angestrengt!"

Ganz ehrlich? Wie verrückt ist das denn eigentlich? Unser Körper ist individuell. Wir können gesundheitliche Selbstfürsorge betreiben. Ja. Uns gut um uns kümmern. Auch ja. Aber wir können uns nicht einen anderen Körper zaubern und wir können uns auch nicht jünger zaubern. Und auf die weiteren Faktoren, auf die ich nachfolgend eingehe, haben wir ebenfalls kaum Einfluss.

Meine persönlichen Gewichtsveränderungen hatten auch ihren Ursprung in hormonellen Änderungen (Ich habe 3 Kinder bekommen, um nur eine zu nennen.) und waren auch auf psychische Einflüsse zurückzuführen.  Ja, Stress hat nicht  nur Einfluss auf unser Essverhalten, sondern ebenfalls auf unser Hormonsystem. Darüber dann wiederum auf unser Essverhalten und unser Fetteinlagerung. Die Regulation unserer Hormone zurück zu ihrem natürlichen Gleichgewicht, kann übrigens sehr lange dauern. 

Es war wirklich erschreckend, wie sich eine Phase des langen psychischen Stress auf meinen Körper ausgewirkt hat. Trotz gesunder Ernährung und Bewegung.

Frauen, die übrigens ihre Anti-Baby-Pille nicht vertragen, können von hormonellen Einflüssen und Gewicht ein Lied singen.

 

Du fragst dich jetzt vielleicht trotzdem:

Kann ich denn nicht mit einer besseren gesundheitlichen Selbstfürsorge die Entspannung, achtsames gesundes Essen und Bewegung beinhaltet abnehmen?

 

Ein ganz klares jein. Das natürliche genetische Körpergewicht ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, dann kommt es ebenfalls auf deine Diätgeschichte an und welche Auswirkungen diese Diäten langfristig auf deinen Stoffwechsel hatten. Die Erholung deines Körpers und Stoffwechsels von diesen Diäten ist auch sehr unterschiedlich. Das ist unter anderem aus Forschungen mit Magersüchtigen bekannt. Ebenfalls können natürlich auch Medikamente und Erkrankungen und wie schon erwähnt hormonelle Umstellungen einen großen Einfluss haben. Ebenfalls ist auch das Zusammenspiel dieser Einflüsse und auch wie stark einzelne Faktoren deinen Körper beeinflussen sehr individuell. 

Aber ganz ehrlich, ist die Aussicht auf mehr Gesundheit, Lebensqualität und vor allem psychische Freiheit nicht das Verlockende. Das ist doch im Endeffekt auch das, was wir mit einem anderen Körpergewicht erreichen wollen. Mehr Lebensqualität, ein besseres Lebensgefühl. Alleine das Loslassen von Gewichtsidealen schenkt uns das Wichtigste: kostbare Zeit. Momente der Lebensfreude, statt Dingen hinterherzujagen und sich dabei ständig um das eigene Essverhalten und Gewicht zu kreisen.

Der nächste Punkt, der mir tatsächlich erst heute bewusst geworden ist und mich nach wie vor betrübt sein lässt, ist die gespiegelte Reaktion meines Umfeldes auf Gewichtsveränderungen.

Okay, natürlich nicht aller Menschen im Umfeld, aber einem Großteil.

Von Kindesbeinen an, habe ich die Erfahrung gemacht, dass auf mein dünnes Erscheinungsbild mit liebevoller Zuwendung und Fürsorge reagiert wurde. (Ich will mir übrigens hier kein Urteil darüber erlauben, wie es für Menschen ist, die zu dünn sind. Ich will auch nicht sagen, dass es nicht sehr übergriffig ist dünnen Menschen ständig auf ihr Gewicht abzusprechen.

Dennoch habe ich die Erfahrung gemacht, auch bei sehr dünnen Freundinnen, das Dünn sein mit positiveren Eigenschaften assoziiert wird.) Dünn wurden mir eher Hilfsangebote gemacht und bei mehr Gewicht wurde der Ton schon strenger. Als hätte jemand, dessen Gewicht sich vielleicht sogar aus psychischen Stress nach oben bewegt kein Anrecht auf liebevolle Zuwendung? Oder Mitgefühl? Oder einfach mal den Mund halten und da sein?

Heute weiß ich zum Glück, dass wirkliche liebvolle Zuwendung nur von mir Selbst kommen kann und diese in meiner Verantwortung und unabhängig vom außen ist. Manchmal ist es hier übrigens auch sehr wichtig, die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen und sich die Erlaubnis zu geben, sich liebevoll um sich selbst zu kümmern bzw. gut mit sich selbst umzugehen. Viele Menschen denken, sie hätten das nicht verdient oder Selbstfürsorge wäre egoistisch oder faul. Dabei ist Selbstfürsorge Selbstverantwortung und somit letzten endlich auch Verantwortung übernehmen für das Umfeld und die Menschen, mit denen wir leben. Hier können wir dann geben, statt insgeheim ständig zu erwarten.

 

Im Laufe des Lebens habe ich es immer mehr gehasst, überhaupt irgendwelche Kommentare zu meinem Körper zu hören. Auch Komplimente haben mich mit einer gewissen Leere zurückgelassen. Mit dem Gefühl, ich werde nur über meinen Körper definiert. 

Oder auch, als wäre ich jetzt besonders okay, weil mein Körper ja jetzt so toll aussieht. Es ist wirklich immer übergriffig, die Körper von Menschen zu bewerten und es wird keinem Menschen gerecht, auf seinen Körper reduziert zu werden. 

Und wie kann man denn bitte einen Menschen, der offensichtlich gerade ein Problem mit seinem Körper hat, noch mit Worten ohrfeigen? Solche Dinge sagen, wie: "Reiß dich mal zusammen" oder "Willst du nicht mal an deinem Körper arbeiten?" etc.

Ich als Ernährungsexpertin wurde da ganz besonders nach meinen Schwangerschaften begutachtet. Das war übrigens ein Grund, warum ich irgendwann beruflich überhaupt keine Lust mehr auf das Thema Gewichtsabnahme hatte. Dieses Thema war für mich ein oberflächlicher Kampf und ich hatte keine Lust mehr Menschen zu beraten, die in irgendwelche Schablonen passen wollen. Ich bin einmal dafür angetreten Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern. Nicht um Körper zu formen.

Mir war gar nicht bewusst, wie sehr mich dieses Thema als Frau begleitet hat. Und wie viele Übergriffigkeiten ich mir als Frau überhaupt schon zu meinem Körper gefallen lassen musste. Nicht nur zum Thema Gewicht. 

Mir kommen tatsächlich immer wieder Tränen, wenn ich höre, was manche mehrgewichtigen Menschen haben ertragen müssen, in unserer Gesellschaft. Oder von medizinischem Fachpersonal, wo sie eigentlich Hilfe erhalten müssen. Manche mehrgewichtigen Menschen gehen aus diesem Grund übrigens nicht zum Arzt/Ärztin.

Das ist nicht nur abwertend, dass ist entmenschlichend. Da hat Cornelia Fiechtel in ihrem Podcast den für mich richtigen Begriff gewählt.  Alle Menschen haben ein Recht auf gesundheitliche Fürsorge und Mitgefühl. Jeder Mensch hat das Recht Raum einzunehmen in dieser Gesellschaft und das sie/er Hilfe bekommt. Ohne sich rechtfertigen zu müssen oder Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften unterstellt zu bekommen.

Außerdem hat jeder Mensch andere Voraussetzungen und es ist arrogant und anmaßend, sich darüber ein Urteil zu erlauben.

 

 

 

 

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